Die Verordnung und Durchführung von Ergotherapie bei Kindern mit ADHS wird einerseits von vielen Fachleuten als notwendig, sinnvoll und wirksam anerkannt, andererseits jedoch auch immer wieder kritisch diskutiert und hinterfragt. Zu dem leider immer noch häufig vorhandenen Halbwissen über ADHS gesellt sich bei dem Thema "Ergotherapie bei ADHS" ein noch größeres Unwissen bzgl. der ergotherapeutischen Inhalte. Gut gemeinte aber unspezifische und langwierige ergotherapeutische Behandlungen ohne wesentliche Einbindung der Bezugspersonen verstärken die Zweifel an der Ergotherapie. Wirksamkeitsnachweise von ergotherapeutischen Behandlungsverfahren werden erst sukzessiv mit der zunehmenden Professionalisierung des Berufes, der Anbindung der Ausbildung an Fachhochschulen sowie mit der Einbindung in Forschungsprojekte, auf den Weg gebracht.
Hier soll ein praxisorientierten überblick über spezifische ergotherapeutische Behandlungsansätze bei ADHS gegeben werden. Begleitend sollen die wesentlichen Grundsätze ergotherapeutischer Arbeit erläutert werden.
Eine ausführliche ergotherapeutische Befundung steht am Anfang jeder Behandlung (Elterngespräch, Berücksichtigung der Kindergarten-, Schulsituation, sensomotorische, perzeptive, geistige und sozioemotionale Statuserhebung; spezielle Überprüfungs-, Testverfahren). Bei ADHS-Kindern wird dabei besonders der Focus auf das (meist zu hohe oder zu niedrige) Erregungsniveau und die Reizüberflutung des Kindes gerichtet. Es wird überprüft, welche sensomotorischen Präferenzen das Kind benötigt um einen angemessenen Wachsamkeitszustand zu erreichen.
1. Kinder, die Schwierigkeiten im Bereich der Aufmerksamkeitssteuerung, der Impulskontrolle, der Handlungsplanung und begleitend häufig Entwicklungsstörungen, Teilleistungsschwächen und Lernstörungen aufweisen, kann unter Einbeziehung verhaltenstherapeutischer und lerntherapeutischer Aspekte mit folgenden ergotherapeutischen Maßnahmen geholfen werden:
a) Eine fundierte sensomotorisch-perzeptive ergotherapeutische Behandlung kann komorbide Auffälligkeiten in der Bewegungsplanung, Körperkoordination und Feinmotorik vermindern und die Wahrnehmungsverarbeitung, die hyperkinetische Symptomatik und das Erregungsniveau positiv beeinflussen. Folgende ergotherapeutische sensomotorisch- perzeptive Behandlungskonzepte haben sich bei ADHS bewährt:
b) Im Rahmen einer neuropsychologisch orientierten Behandlung kann Ergotherapie die Reizfilterschwäche, verminderte Aufmerksamkeit und Handlungsplanung dieser Kinder verbessern und zu einer automatisierten Selbstregulation führen. Neben der Nutzung spezieller Konzentrations- und Kognitionstrainings wird häufig ein Selbstinstruktionstraining, die Erarbeitung von Merksprüchen, Arbeitsplänen etc. mit z.B. handwerklichen Aufgabenstellungen, welche für das Kind bedeutsam sind, verknüpft.
c) Eine psychisch-funktionelle Behandlung kann die sozioemotionalen-Kompetenzen des Kindes verbessern, der psychischen Stabilisierung und dem Stressabbau dienen und zur Verbesserung des Selbstwertgefühls führen. Angewandt werden z.B.:
2. In der ergotherapeutischen Behandlung von ADHS-Kindern sind folgende Grundsätze zu beachten:
a) "Vom Behandeln zum sinnvollen Handeln" beschreibt vereinfacht den handlungsorientierten Grundsatz der Ergotherapie und ist mit der Verbesserung der Handlungsfähigkeit eines der zentralen Ziele der Ergotherapie. Es werden Aktivitäten ausgewählt, die für das jeweilige Kind von Interesse und Bedeutung sind und gleichzeitig therapeutischen Zielen gerecht werden. (So wird z.B. ein Kind, welches schwere große Schaumstoffbauklötze schiebt, um sich damit ein Haus zu bauen, im Verlauf dieser für ihn sinnvollen Tätigkeit, über den gezielten propriozeptiven Input zunehmend ruhiger. Mit der verbesserten Tonusregulation und Wachsamkeit ist es danach z.B. in der Lage, konzentriert am Tisch zu arbeiten.)
b) Der alltagsorientierte Grundansatz der Ergotherapie greift die individuellen Probleme des täglichen Lebens dieser Kinder auf und versucht konkret im Alltag des Kindes konstruktiv einzuwirken. (Wenn das Kind z.B. übermäßig viel Zeit beim Anziehen benötigt, kann das " Schuhe und Jacke an und ausziehen" ein Bestandteil der Therapie sein).
c) Die Zusammenarbeit mit den Eltern: Ergotherapeuten bemühen sich sehr, den Bezugspersonen die individuellen Gegebenheiten (Stärken und Auffälligkeiten) des Kindes unter Einbeziehung neurophysiologischer und neuropsychologischer Aspekte zu erklären. Die Eltern können so ihr Kind besser verstehen, werden entlastet und reagieren verständnisvoller. Eine verbesserte Eltern-Kind- Interaktion ist häufig Folge. Die Eltern sollten intensiv in die Therapie eingebunden sein, um den Transfer der Therapieinhalte in den Alltag unterstützen zu können. Darüber hinaus können Ergotherapeuten im Rahmen eines Hausbesuches ("Beratung im häuslichen Umfeld") konkret beraten und unterstützen (z.B. Gestaltung des Kinderzimmers, hilfreiche Sitzadaptionen...)
d) "Ergotherapie macht Spaß" verdeutlicht einen weiteren Grundsatz ergotherapeutischen Handelns. Die Vermittlung von häufig greifbaren Erfolgserlebnissen und die Einbeziehung von positiven Emotionen wie Freude, Stolz, Lust, Spaß und Neugier sind wichtige Eckpfeiler in der Therapie. Sie ermöglichen über eine verbesserte Motivationslage und Wachsamkeit, die Gehirnaktivität zu steigern und damit die gewünschten Automatisierungs- und Lernprozesse zu vertiefen um darüber auch die Leistungsbereitschaft der Kinder zu erhöhen. Ergotherapeuten sorgen daher ganz besonders dafür, dass die Aufgaben/Therapieinhalte/Spielideen am Alltag des Kindes und dessen Interessen orientiert sind.
Der ressourcen-aktivierende Grundsatz der Ergotherapie kann mit der Verbesserung der Handlungsfähigkeit, dem Ermöglichen von Erfolgserlebnissen und der Erarbeitung und Bewusstmachung der individuellen Stärken, Fähigkeiten, Motivationen, Interessen und Wünsche, das Selbstwertgefühl dieser Kinder verbessern und so zu einer emotionalen Stabilisierung beitragen. (Daher beraten und ermutigen Ergotherapeuten das Kind und die Eltern ausführlich über die Nutzung geeigneter Sport- und Freizeitaktivitäten.)
Eltern, Pädagogen, Therapeuten und Ärzte wissen, dass bei der Vielfalt und Ausgeprägtheit der Schwierigkeiten und Probleme der ADHS-Kinder, verbunden mit den häufigen Misserfolgserlebnisse und negative Rückmeldungen der Umwelt, dazu führen, dass die Kinder sich als unzureichend und versagend wahrnehmen. Eine resignative Grundhaltung bis hin zu depressiven Symptomen sind Folgen dieses Teufelkreises.
Eine solchermaßen gestaltete und durchgeführte Ergotherapie, kann innerhalb eines multimodalen Behandlungskonzeptes und unter Einbeziehung verhaltenstherapeutischer Prinzipien, dem ADHS-Kind gezielte und konkrete Hilfestellung anbieten und somit sekundären Neurotisierungen entgegenwirken.